eröffnungsrede von alexander sterzel, ludwigsburg 2007

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Vernissage-Gäste,


wir begegnen in der heutigen Ausstellung dem Werk einer Künstlerin welche sich in großem Maße mit den Zuständen und den Ausnahmezuständen der menschlichen Seele beschäftigt.
Autonom zeigt sich somit die künstlerische Produktion von Gabrielle Zimmermann. Dabei spielen die eigenen menschlichen Erfahrungswerte, die in einem großen Spektrum in ihren Arbeiten überliefert werden, eine tragende und tiefgründige Rolle.


Gabrielle Zimmermann wurde 1971 in Stuttgart geboren. Dort studierte sie auch AVL und Kunstgeschichte.
Vor einigen Jahren begann sie damit, ihr Werk einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Gabrielle Zimmermann hat in einem kurzen Zeitraum eine intensive künstlerische Entwicklung vollzogen, mit der ich mich in letzter Zeit beschäftigt habe.
Man kann sie gerne als eine Künstlerin des Umbruchs beschreiben, denn ihr Werk erscheint wie ein Scharnier zwischen zwei Gegenbewegungen, der informellen und der konzeptionellen Kunst. So bietet das Werk von Gabrielle Zimmermann viele eigenständige und mannigfaltige Aspekte.

2.

Ihre bevorzugten Motive sind neben den Puppen die Maske, die Spiegelung, die Zeit, der Tod, Körperfragmente und die anatomische Darstellung. Es besteht eine Vorliebe für das Ungewöhnliche, Abnorme, Abstruse, ein Interesse für Hieroglyphen, Rätsel, Geheimlehren und Schriften, Medizin, Seltsamkeiten und Monstrositäten der Natur, aber auch von Menschen hervorgebrachte Automaten und "Wundermaschinen".

 

Die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit wird verwischt und Bildinhalte werden zu produzierten Träumen im Pixelformat. Die "änigmatische Gebärde" wird zur alles beherrschenden Ausdrucksform. Dinge, die sich nicht vereinigen lassen, werden in fantastischer Weise zusammengesetzt. Dem Deformationstrieb wirkt ein seelenloser Konstruktivismus entgegen.

 

Lebensfreude und Weltzugewandtheit sind ganz dem manieristischen Werk der Künstlerin fremd. Dagegen werden oft die zerstörenden Ordnungen dargestellt, Beziehungslosigkeit, Angst und Schrecken.

 
Gabrielle Zimmermanns Videoarbeiten sollen den Scharfsinn offenbaren. Die unerwartete, erstaunliche, überraschende, verblüffende, faszinierende und schockierende Wirkung wird von ihr angestrebt. Eigenwilligkeit, Schrulligkeit, Originalität werden gepflegt. Das Bizarre, Künstliche, Gemachte wird höher als das Natürliche gewertet.

 

Zimmermanns visuelle Kunsträtsel beschreiben die Gegenstände und Aktionen stets irreführend. Man wird in einen Irrgarten geführt und gezwungen, krause Gänge zu gehen, die vom Ziel möglichst weit wegführen.

 

 

3.

Doch letztendlich sind all ihre Arbeiten als Verlängerung eines philosophischen Gedankens über die Fragen der Gegensätze von Nichts und Welt, Materie und Energie, Körper und Geist, Innen und Außen, Positiv und Negativ, Licht und Schatten zu verstehen.

 

Welche Beziehungen und Entsprechungen bestehen denn zwischen der subjektiven und der objektiven Welt, zwischen dem Geistigen und dem in Form und Farben realisierten Bild?

 

Um diese Fragen klären zu können, hat sie mit ihrer Serie "aux pays des poupées" also "Im Land der Puppen" ein neo-symbolistisches Werk geschaffen in welchem archaische und zeitgenössische Elemente zum tragen kommen.

 
Über die Geschichte gibt es folgendes zu sagen:

"Archäologen fanden in ägyptischen Gräbern, die über 3000 Jahre alt waren, hölzerne Puppen. Diese waren aber noch nicht wie heute als Spielzeug konzipiert, sondern hatten religiöse oder magische Bedeutung. Die amerikanischen Hopi-lndianer schenkten ihren Kindern nach religiösen Zeremonien kleine Götzenbilder: Miniaturpuppen aus Holz, die wie Erd- oder Himmelsgeister aussahen - maskiert und mit Federschmuck.
Als Spielzeug wurden Puppen erst im Mittelalter Mode: Zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Mädchen und Jungen spielten damit und die berühmtesten Puppen kamen damals aus Nürnberg.

Man weiß heute, dass das spielen mit Puppen für Kinder eine wichtige Beschäftigung ist, weil sie in die Puppe ihr eigenes Ich projizieren können. Dadurch wird die an sich statische, gegenständliche Figur zum Leben erweckt und beginnt sich zu entfalten."

 

 

4.
Zimmermann erweckt die Figuren ebenfalls zum Leben und schafft für sie ein eigenes Land in welchem die Protagonisten meist als hilflose Opfer in Szene gesetzt werden. Dem ursprünglichen Gedanken des lieb- und süßlichen Kinderidylls setzt die Künstlerin die unheimlichen und beunruhigenden Elemente des Horrorfilms entgegen.

 

Formal bedient sich Gabrielle Zimmermann der Montage als bestimmendem Prinzip in ihren Arbeiten. Sie setzt kleine Splitter nebeneinander, ähnlich dem berühmtesten Schockeffekt der Filmgeschichte, dem Duschmord in "Psycho". Hier gab es 70 Einstellungen in nur 45 Sekunden.

 

"Im Land der Puppen" geht es zwar ein klein wenig langsamer zu, das ändert aber nichts an der Gegebenheit, dass durch die spezielle Schnitttechnik der Künstlerin Raum und Zeit wie in einem schwarzen Loch kollabieren und so kann es letztendlich bei einer derart zerstückelten Realität - die übrigens niemals wirklich real erscheint - keine Kausalität mehr geben.

 

 

Eine wunderbare Ergänzung zur heutigen Ausstellung bieten die Gedichte von Tom Wahlen aus seinem Buch "Dolls", welche Sie hier in das Konzept von Gabrielle Zimmermann eingebunden sehen.
Per Zufall trafen sich die beiden nach Jahren wieder und stellten fest, dass sie beide am gleichen Thema arbeiten.

 

Diesen Synergie-Effekt nutzt die Künstlerin und so können die Texte von Tom Wahlen - die er freundlicherweise zur Verfügung stellte - in Verbindung zu Zimmermanns Arbeiten eigentlich als Subtext (oder auch "Subtitles" - um in der Sprache des Film-Genres zu bleiben -) betrachtet werden.

 

 

5.

Ich selbst mache nun ebenfalls einen für mich ungewöhnlich harten Schnitt zu Zimmermanns Video-Arbeiten, blende meine Gedanken aus und befinde mich gewissermaßen schon im Abspann.

 
Liebe Gabrielle,

nun kennen wir uns doch schon einige Jahre und sind auch etliche künstlerische Wege gemeinsam gegangen, die uns immer gegenseitig beflügelt haben. Nicht nur aus diesem Grunde wünsche ich mir für Dich Menschen, die Dir und Deiner Arbeit wohl gesonnen gegenüberstehen und Dich stets unterstützen mögen. Ich habe mir sehr lange überlegt, was ich als Schlusssatz heute sagen könnte. Ich stieß auf Goethes Worte: "Man weicht der Welt nicht sicherer aus als durch die Kunst und man verknüpft sich nicht sicherer mit ihr als durch die Kunst.", befand diese Aussage als trefflich, jedoch im speziellen Fall nicht ganz ausreichend.
Dann erinnerte ich mich an eine Rede, welche vor über 10 Jahren der Kornwestheimer Künstler Rasso Rothacker über mich verfasste und der zum Schluss Jean Cocteau zitierte. Dieses Zitat hat mir immer geholfen, wenn ich mich nach dem Sinn oder Unsinn der Kunst gefragt habe, wenn ich ins Zweifeln geriet und wenn ich mir meiner Sache nicht mehr ganz sicher war. In der Hoffnung, dass es Dir die gleichen Impulse gibt, möchte ich damit schließen:

 

"Wer sich mit den Musen einlässt, wird sich unwirsch empfangen sehen. Diese Damen bieten einem keinen Stuhl. Schweigend zeigen sie auf das gespannte Seil."

 

 

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Alexander Sterzel

 

Einführung in die Ausstellung "Aux pays des poupées" im Kulturwohnzimmer, Ludwigsburg, 2. Nov. 2007